Prognosen sind verdammt schwierig, ganz besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Ein paar Tore in den letzten Sekunden, ein überraschend klarer Sieg gegen Wolfsburg und so sind es am Ende weder die Haie noch die Pinguine geworden, sondern: Wolfsburg. In den ersten Play-Offs seit Menschengedenken trifft Schwenningen auf die Grizzlys aus Wolfsburg. Auf den ersten Blick schreckt die große Entfernung ab, aber das darf keine Ausrede sein und immerhin haben wir eine ausgeglichene Bilanz in dieser Saison aufzuweisen und – bedingt durch den klaren 3:0 Sieg am Sonntag – gehen mit einem sehr positiven Abschluss der Hauptrunde in die Verlängerung der Saison.
Das große Fragezeichen
Wolfsburg lief am Sonntag mit einem Rumpfkader in Schwenningen auf. Mit Haskins, Foucault, Voakes, Fauser, Ankert und Weiß fehlten den Grizzlys eine Menge wichtiger Spieler, darunter vier der fünf punktbesten Stürmer. Haben wir da ein angeschlagenes und angeschossenes Bärenwolfvieh vor uns, das nur noch erlegt werden muss? Nein, das ist die größte Gefahr die Wolfsburger zu unterschätzen. Mit den Play-Offs beginnt eine neue Saison, da gibt es auch ein anderes Level für Verletzungen, das erreicht werden muss, damit man nicht spielt. Auch wenn man sich bei den Grizzlys in Understatement übt und es bei einigen Spielern ausgeschlossen scheint, dass sie diese Saison nochmal zurückkommen – ich glaube erst dann, dass einer nicht spielt, wenn er Mittwoch nicht auf dem Eis steht. Die Grizzlys am Mittwoch werden ein anderes Team sein als die Grizzlys vom Sonntag.
Im Vergleich
Der Kader der Wolfsburg ist namhafter, da muss man kein Experte für sein. Das ist unbestritten. Das Team ist über viele Jahre gewachsen, stand im Finale und Spieler wie Haskins, Voakes oder Dehner gehören seit Jahren zum oberen Regel der DEL. Jimmy Sharrow, Robbie Bina oder Tyson Mulock bringen alle mehrere nationale Meistertitel als Erfahrung mit ein. Überragend bei Wolfsburg die Ausgeglichenheit. Kein Spieler unter den Top 30 in der Top-Scorer Liste der Liga, aber sieben Spieler über 25 Punkte. Die Grizzlys agieren – in voller Besetzung – mit mindestens zweieinhalb Reihen, die jeden Gegner dominieren können. Nicht zuletzt stand das Team lange auf Platz 4. Doch der danach folgende Absturz – bei dem man zeitweise um die Play-Offs bangen musste – liegt im größte Asset begründet, das ich den Wolfsburger zusprechen möchte: Trainer Pavel Gross. Als Spieler einer der besten Spieler, die die DEL je gesehen hat und Kopf einer legendären Mannheimer Meistermannschaft. Als Trainer ein mit allen Wassern gewaschener und hoch angesehener Experte. Berüchtigt seine Schlägerei mit Trainerkollege Bill Stewart im Jahre 2001, Gross damals noch in Diensten der Capitals. Gross ist jedes Mittel recht, auf der Grenze zur Unsportlichkeit balancierend hat er als Trainer fast alles erreicht. Es fehlt nur der ersehnte und krönende Meistertitel, den er in 10 Jahren Wolfsburg nicht einfahren konnte. Deshalb der Wechsel zu den Adlern zur kommenden Saison, aufgrund seiner Qualitäten haben die Adler ihn gewollt. Und mit dem Wechsel kam der Bruch, Gross wurde in Wolfsburg zur Lame Duck, das Team begann sich Gedanken über die Zukunft zu machen, Auflösungserscheinungen gepaart mit Verletztenmisere. Mit Müh und Not hat man sich auf Platz 7 ins Ziel gerettet.
Im Gegensatz dazu ein Wild Wings Team, dessen Stärken und Schwächen wir inzwischen zur Genüge kennen und gespickt mit einigen Spielern, für die die Play-Offs völliges Neuland sind. Es ist – angesichts der von VW gesponserten Summen – überhaupt keine Schande sich einzugestehen, dass wir den schwächeren Kader haben. Denn das heißt noch lange nicht, dass sich der auf dem Papier Überlegene am Ende auch durchsetzt. Auch bei den Wild Wings wird der eine oder andere angeschlagene Spieler zurückkehren, was die Vollständigkeit des Kaders angeht dürften wir einen Vorteil haben und sicher mit vier Reihen agieren können. Inwieweit das in einer so kurzen Serie nach der langen Pause etwas ausmacht – ich glaube eher nicht. Auf Trainerseite haben wir Pavel Gross ebenso einen alten Hasen entgegenzusetzen. Cortina hat – wenn auch nicht in der DEL – bereits Meistertitel eingefahren, war Nationaltrainer und kennt das Geschäft ebenfalls seit langem. Trotzdem sehe ich uns da leicht im Nachteil. Cortina ist ein guter Trainer, aber kein sehr guter.
In der Summe bleiben wir der Underdog.
Worauf es ankommt
Neben der Frage nach den Verletzten ist für mich eminent wichtig, wie die ersten 10 Minuten, das erste Drittel am morgigen Mittwoch ablaufen werden. Wir Schwenninger müssen unsere Nervosität ablegen, müssen von Beginn an voll da sein und dürfen uns nicht vom Schlitzohr Gross in irgendwelche Fallen locken lassen. Gross wird auch unfaire Aktionen auspacken und anordnen, Gross wird die Schiedsrichter angehen. Davon darf man sich nicht irritieren lassen. Für die Grizzlys sind die Play-Offs beinahe Alltag, deren Ruhe und Erfahrung wird sich am Anfang zeigen. Zudem kann man die unbefriedigende Saison vergessen, es beginnt von Null und es ist wieder alles drin. Für die Wild Wings dagegen ist die Hauptrunde ein absoluter Erfolg gewesen, das kann man mitnehmen, daran kann man sich hochziehen. Aber es wird nichts mehr zählen und für die tolle Hauptrunde bekommt man in den Play-Offs gar nichts geschenkt.
Es wird vor allem eine mentale Sache, denn sportlich und kämpferisch können wir gegen Wolfsburg bestehen, das haben wir schon gezeigt. Und so etwas wie nach der Pause, mental gegen Mannheim nicht da und die Sache dann in Iserlohn ausgebügelt, ist in einer kurzen best-of-three Serie tödlich. Verlierst Du morgen, stehst Du am Freitag mit dem Rücken zur Wand. Eine Situation, die für unser Team neu wäre.
Aus Sicht der Mannschaft wäre es wichtig, wenn alle Spieler, die über die Saison mit schwankenden Leistungen auffielen, jetzt in den Play-Offs ihre Top-Leistung bringen können. Ein Rech, ein Hult, ein Poukkula – vielleicht ist es kein Zufall, dass sie alle am Sonntag gegen Wolfsburg getroffen haben. Wenn sie das mitnehmen können und das Spiel nicht nur an Acton und Fleury hängt, dann würde das sehr helfen. Die Defensive muss weiter so diszipliniert und gut stehen wie in den meisten Saisonspielen, sich nicht verwirren lassen und konsequent den Job erledigen. Über Strahlmeier mache ich mir keine Sorgen.
Und was tippe ich nun
Siehe den einleitenden Satz zu Prognosen. Schwierig. Ich glaube, es wird über drei Spiele gehen und dann lesen wir uns vor Sonntag nochmal.