Katerfrühstück

Ein bitterer Montagmorgen für alle Wild Wings Fans. Konnte man vor Beginn der Heimspielserie noch verhalten optimistisch sein, muss man nun schon nach den ersten beiden vergebenen Chancen gegen Hamburg und Düsseldorf erneut bereits Mitte Dezember eingestehen, dass die Saison wiedermal gelaufen ist. Zwar mit einer vom Eindruck her besseren Mannschaft, aber ein „stets bemüht“ macht niemanden glücklich. Und die Mär von der „kämpfenden Mannschaft“ die ausreicht, wird beim Blick auf die Zuschauerzahlen wieder mal widerlegt. Es wird kalt, es kommt die Eishockeyzeit und wir sind weit weg von den 4.000. Oder müssen mal wieder die allfälligen Weihnachtsfeiern als Ausrede herhalten?

De Raaf hat das Schwenninger Eishockey wiederbelebt, aber es reicht erneut nicht um den Winter zu überstehen. Das ist bitter, das tut der Fanseele weh und daran habe ich durchaus zu knabbern.

Natürlich sind es auf den ersten Blick „nur 10 Punkte“, aber da muss man sich nichts vormachen. Der nötige Lauf mit 10 Siegen am Stück wird nicht kommen. Man hat es verpasst der Mannschaft die nötige Tiefe durch einen weiteren Ausländer zu geben und das Team wird nicht auf einmal in der Lage sein, den Schalter umzulegen und die knappen Spiele zu gewinnen. So heißt es an vielen Stellen. Man würde ja immer die knappen Spiele verlieren und es würde nicht viel fehlen.

Deshalb habe ich mir mal die Zahlen in knappen Spielen (1 Tor oder 1 Tor + Empty Net) angeschaut und wurde etwas überrascht. Da stehen wir bei 5 von 14 und mit 36% sogar besser da als in der Gesamtbilanz in der Tabelle mit 33% Siegen. Das ist natürlich nicht signifikant, aber es zeigt mir doch, dass wir nicht von „Pech“ in knappen Spielen reden brauchen, sondern in der Gesamtbetrachtung einfach gewogen und für zu leicht befunden wurden.

In einem guten Kommentar auf Facebook konnte man von einer „mentalen Leere“ der Mannschaft lesen, ausgelöst durch die vielen knappen und unglücklichen Niederlagen. Gleichzeitig wurde aber das spielerische Potential für Platz 10 festgestellt. Ersterem stimme ich voll und ganz zu, auch die meisten Spieler können eine Tabelle lesen, auch sie wissen, dass der Zug abgefahren ist, nur noch die Schienen einsam vor ihnen liegen. Aber letzterem würde ich widersprechen, wie schon im letzten Blogpost von mir – wir haben das Level für Platz 10 in diesem Jahr noch nicht, aber wir haben wenigstens alles reingehauen was wir haben und hatten.

Das es trotzdem schmerzt ist normal und dass da auch Frust durchschlägt, kann man auch nachvollziehen. Trotzdem sollte man – auch wenn uns noch zweieinhalb lange Monate bevorstehen – versuchen auch in der Fanszene eine gewisse Ruhe zu bewahren. Aussagen wie „Klar, dass der Acton mit dem bequemen Vertrag prompt ein punkteloses Wochenende einlegt.“ oder „Pelech steht nur grinsend auf dem Eis und ansonsten bei Gegentoren dumm daneben.“ helfen da keinem weiter. Natürlich muss und wird das Team an einigen Punkten ausgetauscht werden, aber das Fundament wirkt so gut wie schon lange nicht mehr. Und das ist der klitzekleine Sonnenstrahl in einem trostlosen vernebelten Morgen in Schwenningen.

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Er will!

Ein kurzer Kommentar zur Vertragsverlängerung von Will Acton. Das 10. Türchen hat für die Wild Wings Fans große Begeisterung gebracht, denn Will Acton, Topscorer der Liga und tragende Säule der Mannschaft, hat für drei Jahre seine Namen unter einen neuen Vertrag gesetzt. Doch auch diese Verlängerung hat trotz der überwiegende positiven Resonanz einige Fragezeichen, aber auch ein sehr, sehr gutes Zeichen auf das ich am Ende eingehen werde.

Zuerst hoffe ich einfach mal, dass man nur für Acton keinen finanziellen Abenteuer eingegangen ist und ihm soviel Geld zahlt, dass er nächstes Jahr notgedrungen mit Brown und Schlager die erste Reihe bilden muss. Das Gesamtgefüge muss stimmen, aber in den letzten Wochen haben Rumrich und de Raaf gezeigt, dass sie lautstarken Forderungen nach einem weiteren Ausländer nicht um jeden Preis nachgeben, sondern einen Plan verfolgen und Seriösität als Maxime ihrer Handlungen nehmen. Deshalb bin ich da beruhigt.

Weiter sehe ich auch ein gewisses Risiko. Die bisherige Karriere von Acton war okay, aber von seinen Zahlen her gibt es viele Spieler in Nordamerika. Man tut ihm nicht unrecht, wenn man ihn als (gehobenen) Durchschnitt bezeichnet. Jetzt hat er zwei überragende Monate erlebt, keine Seuche am Schläger, keine Krise und eine Mannschaft, in der es zu stimmen scheint. Niemand hat die Gewissheit, dass es drei Jahre so weiter geht und vermutlich wird es das auch nicht. Trotzdem geht Rumrich die Gefahr ein, im nächsten mit ausgestrecktem Finger: „Wie kann man nur nach zwei guten Spielen jemanden so langfristig binden?“ beschimpft zu werden. Kurzfristig ist es eine Managemententscheidung, die viel Applaus einbringt, aber langfristig ist es eine Entscheidung, die mutig ist.

Und ich finde es gut, dass wir mutige Entscheidungen treffen. Vor allem auch, dass wir langfristige Entscheidungen treffen. Denn so manches Interview vor der Saison (Burger: „Wir brauchen 5.000 Zuschauer!“) ließ zwischen den Zeilen die Interpretation zu, dass nach dem Trümmerjahr bei den Gesellschaftern eine gewisse Müdigkeit Einzug gehalten hat. So nach dem Motto „Wenn es jetzt nicht klappt, dann machen wir den Laden zu und verkaufen die Lizenz nach Ravensburg.“ Die positive Entwicklung in diesem Jahr, die sehr gute Auslastung der Sitzplätze und die mehrjährigen Vertragsverlängerungen haben diese Zweifel beseitigt. Und das ist in der Summe das Positivste an der Verlängerung, die Perspektive wird wieder langfristig interessanter. Sportlich ist ein Acton ersetzbar, aber das Signal ist deutlich mehr wert.

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Money Time

Die beschauliche Adventszeit bricht an, doch im Schwarzwald ist es nur auf den ersten Blick beschaulich. Denn bis zum Feste stehen für die Wild Wings ganz entscheidende vier Spiele an. Schuld daran ist auch der seltsame Spielplan, den uns die DEL dieses Jahr gegeben hat. Doch zuerst ein kurzer Blick auf die allgemeine Lage: Die Stimmung ist ganz gut, die Mannschaft ist kämpferisch und von der Moral her über jeden Zweifel erhaben. Rumrich und de Raaf suchen weiterhin vergeblich nach einem zusätzlichen Ausländer und bei den Fans wird weiter über den magischen Platz 10 geredet.

Denn trotz aller Bekenntnisse und Tiefstapeleien – dieser Platz 10 ist das heimliche Ziel von Mannschaft, Verantwortlichen und Fans. Gerade nach dem guten Saisonstart, nach den deutlichen Verbesserungen zum Vorjahr, den vielen knapp verlorenen Spielen und der Scoringexplosion von Will Acton hält man sich rund um die Helios Arena für kräftig genug im Kampf um diesen Platz 10 mitzureden.

Doch ich sehe das etwas anders – ich bin mir nicht sicher, ob das Team das Potential dafür hat und die nächsten vier Spiele werden es zeigen. Warum diese Zweifel?

Verbesserungen zum Vorjahr sind optisch, in Stimmung und Einsatz unverkennbar. Doch punktetechnisch sind wir nur drei Punkte besser als im Vorjahr. Das ist kein Quantensprung. Zudem verzerrt die Tabelle. Wir haben schon zwei Spiele mehr als alles um uns herum, deshalb sind die 8 Punkte Rückstand auf Platz 10 trügerisch. Schaut man eher auf die Prozente an gewonnen Spielen, dann liegen wir mit 36% weit weg von den Haien, die auf Platz 10 mit 52% rangieren. Übrigens genau der Wert, den man im Vorjahr benötigte um Platz 10 zu erreichen. Wenn wir das noch schaffen wollen, dann müssen wir von den kommenden 26 Spielen insgesamt 17 gewinnen, das wären gut 65% – eine Quote, die man sonst nur an der Tabellenspitze erreicht. Statistisch gesehen gibt es nicht viel Hoffnung.

Zudem würde ich auch der vielfach geäußerten Meinung widersprechen, dass man in den vielen knappen Spielen oft Pech gehabt hat oder gar der Schiri schuld ist. Das ist Quatsch. Je länger man spielt, desto aussagekräftiger wird eine Tabelle und die Fähigkeit, knappe Spiele zu entscheiden, ist eine der wichtigsten Eigenschaften von echten Spitzenmannschaften. Wir stehen in der Liga genau da, wo wir leistungsmäßig hingehören. Nicht abgeschlagen, nicht chancenlos – aber noch nicht auf dem Level wirklich um die Play-Offs mitspielen zu können. Trotz Acton, trotz eines möglicherweise noch kommenden Ausländers.

Doch Sport wäre nicht Sport, wenn es auch ganz anders kommen kann. Der Spielplan beschert uns bis zu den Feiertagen noch vier Heimspiele. Mit den Fans im Rücken kann da was gehen. Jetzt eine Serie starten, jetzt die Festung Bauchenberg in die Waagschale werfen und die Spiele gewinnen – dann kann einen die Euphorie im neuen Jahr noch länger tragen.

Holen wir weniger als neun Punkte, dann ist für mich der Zug zu Platz 10 definitiv abgefahren. Aber auch das ist nicht schlimm, wenn man die langfristige Perspektive sieht. Zum einen macht die Mannschaft so oder so Spaß und zum anderen machen Spieler wie Kurth, Schmölz oder Bender deutliche Fortschritte. Sie werden am Ende der Runde in ihrem persönlichen Level deutlich über dem liegen, mit dem sie in die Saison gegangen sind. Und das wäre ein enormer Gewinn für das kommende Jahr. Die Eckpfeiler halten, einige punktuelle Verbesserungen und dann kann man 2016/2017 die Früchte ernten und Platz 10 realistisch angehen. Dieses Jahr kommt wohl leider noch zu früh.

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Ursache und Wirkung

Nicht ohne Stolz muss ich konstatieren, dass dieses bescheidene Blog inzwischen zur Pflichtlektüre in der Wild Wings Kabine gehört. Vor der Saison zweifel ich an Rumrich und seinen Fähigkeiten ein Team zusammenzustellen und er belehrt uns eines besseren und stellt zusammen mit de Raaf eine würdige Mannschaft aufs Schwenninger Eis und schließt insgeheim sogar 2-Jahres-Verträge mit den Leistungsträgern ab. Bei Will Acton frage ich offen, ob er vom Profil und den Zahlen her überhaupt der gesuchte Typ ist und prompt ist er über jeden Zweifel erhaben und dominiert wie eins Vostrikov die Scorerliste der Liga. Und in der letzten Woche äußere ich meine Enttäuschung über Yan Stastny und am vergangenen Wochenende fügt er sich klaglos und vorbildich in seine Rolle in der vierten Reihe und lässt mit drei Toren endlich einmal seine Fähigkeiten aufblitzen. Da das so gut funktioniert hat und es über die Mannschaft, den sportlichen Erfolg und die Position in der Liga gerade kaum etwas zu sagen gibt, könnte ich eigentlich noch ein paar andere Sachen kritisieren, die sich dann wie von Zauberhand auflösen werden. Schlagers Frisur, die dummen Strafen von Rome, die fehlende Torgefährlichkeit von MacDonald – alles bitte ändern.

Im Ernst: Ich bin in solchen Situationen einfach nur glücklich, wenn ich mich irre. Ich sehne mich nicht nach Misserfolg um hinterher mit einem „habe ich doch gleich gesagt“ prahlen zu können, lieber lande ich ab und zu in einem Fettnapf als das Hüpfen und Springen ganz zu unterbinden.

Doch bevor es heute in Wolfsburg wieder losgeht, hat sich über die Deutschland-Cup Pause hauptsächlich ein Thema (neben dem billigen Aumüller-Mobbing) in der Fanszene festgesetzt: Die Frage nach dem zusätzlichen Ausländer. Unser Kader ist weiterhin dünn, aus dem Tal ist auch keine Verstärkung in Sicht (Linsenmaier leider, Hynes wie erwartet) und wenn Pätzold spielt, dann fehlt uns ein Ausländer auf dem Feld. Gleichzeitig kann man rund um die Helios Arena spüren, dass dieses Jahr etwas gehen könnte. Das Team hat sich gefunden und spielt erfolgreich, Platz 10 und damit die Play-Offs sind absolut in Reichweite. Da möchte man gerne nachlegen, da möchte man diesen Platz sichern und insgeheim von mehr träumen.

Rumrich und de Raaf sagen dagegen, dass der Markt nichts passendes hergibt oder es am Geld scheitert. Also holen sie lieber keinen als irgendeinen Droppaesken Eiskunstläufer. Dies kann man so nachvollziehen, eine Mannschaft ist ein fragiles Gebilde und wenn es gerade sehr gut funktioniert, dann kann man dort auch einiges kaputt machen, wenn man den falschen Spieler holt. Ich persönlich bin weiterhin für einen weiteren Ausländer, aber aufgrund der letzten Monate hat Rumrich jetzt zumindest soviel Vertrauen aufgebaut, dass ich ihn auch in dieser Sache einfach mal machen lasse.

Momentan brauchen wir diesen Spieler nicht zwingend, aber wenn es dann am Ende mit ein paar Verletzungen um zwei oder drei Punkte nur für Platz 11 reicht – dann wird das „hätte man doch“ – Geheule groß werden. Denn eins muss man auch konstatieren, die letzten Wochen haben Wirkung bei den Fans gezeigt, Wirkung dahingehend, dass die Erwartungen schon wieder wachsen. Sollte das in diesem Absatz beschriebene Szenario eintreten, dann wette ich, dass sich mehr Leute über den verpassten Platz 10 ärgern und grummelnd motzend die Vorwurfsdose öffnen, als sich über eine tolle Saison, eine kämpfende Mannschaft und einen im Vergleich zum Vorjahr hervorragenden Platz 11 ehrlich freuen würden.

Deshalb leben Rumrich und Co. gefährlich – egal wie sich entscheiden.

Aber jetzt erstmal die Grizzly Adams weghauen.

 

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Salam Baku – ein Reisebericht

Der eine oder andere Leser wird wissen, dass ich neben den Wild Wings eine zweite sportliche Leidenschaft pflege. Das ist der BVB aus Dortmund und der hat in der vergangenen Woche in der Euro League in Baku gegen FK Qäbälä gespielt. Neben dem reizvollen Spiel hat mich auch die Möglichkeit begeistert nach Aserbaidschan zu kommen und da die Eindrücke dort mehr als ein paar Zeilen wert sind und ich mit diesem Blog eine Publikationsplattform habe, folgt heute die erste Ausgabe von Tellerrand Xtreme.

3 Tage in Baku

Blick aus dem Hotelzimmer

Blick aus dem Hotelzimmer

Mittwoch abends mit zwei Freunden im Flieger direkt von Frankfurt hin, dann der Donnerstag mit dem Spiel, Freitag und Samstag zum Sightseeing und Sonntag in aller Herrgottsfrühe wieder zurück. Ab nach Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, wo sich der verschwenderische Umgang mit Ölmilliarden und Energie in modernen Glaspalästen manifestiert, die sowjetische Monumentalarchitektur und Plattenbauten in ihren Schatten stellen und wo die Menschen trotz der starken staatlichen Hand von herzlicher und orientalisch geprägter Gastfreundschaft sind. Dies ergibt eine Gemengelage, die mich nachhaltig beeindruckt und zum Nachdenken angeregt hat. Darüber möchte ich gerne etwas berichten.

Baku zwischen Alt und Neu

Baku zwischen Alt und Neu

Info: 1 Manat = 100 Gepik ~ 0,85 Euro.

Der Papierkram

Lobby Hotel Flames Tower

Lobby Hotel Flames Tower

Papier gibt es erstmal nicht, Reiseführer sind praktisch nicht existent und man muss sich über das Internet über das kleine Land am Kaspischen Meer informieren. Lufthansa fliegt direkt von Frankfurt und der Flug ist schnell gebucht. Hotels gibt es auch in allen Preisklassen. Die Einreise ist für deutsche Staatsbürger prinzipiell kein Problem, allerdings benötigt man ein Visum und die Informationen dazu sind im Netz widersprüchlich. Am Ende hätte man das Visum mit der Eintrittskarte zum Spiel ausnahmsweise direkt am Flughafen „kaufen“ können, mit der Information rückte der BVB aber erst eine Woche vor dem Spiel heraus. Die Alternative ist der klassische Weg: Antrag, Pässe, etc.. zur Botschaft schicken oder vorbeibringen und 14 Tage warten. Und dann gibt es noch ein eVisa. Dazu braucht man einen Partner in Aserbaidschan, der einen offiziell „einlädt“ zu einem touristischen Besuch. Dafür gibt es diverse Agenturen mit dubiosen Webseiten und unterschiedlichen Gebühren. Letztlich finden wir mit Hilfe des Hotels eine Agentur, bei der wir das Formular, Passfoto und Passkopien online hinschicken können und für knapp 60 Dollar dann unser eVisa als PDF  bekommen. Ausgedruckt erinnert das mit dem Stern im Staatswappen an alte sowjetische Zeiten. Eintrittskarten gibt es für 3 Euro über den BVB und dann geht es Mittwoch mittags mit dem Zug nach Frankfurt, dann mit dem Flieger, indem aufgrund der Fußballfans schon kurz hinter Wien das Bier ausgeht, direkt nach Baku. Landung am späten Abend und nach einigem Feilschen fährt uns ein Taxifahrer für 35 Manat in die Stadt. Dabei scheint er sich für den Formel 1 Grand Prix im kommenden Jahr zu bewerben und rast förmlich über die breiten Boulevards hin zu unserem Hotel in den Flame Towers. Nicht das einzige interessante Verkehrserlebnis in den nächsten Tagen.

Parlament

Parlament

Die Stadt

Moschee trifft Glaspalast

Moschee trifft Glaspalast

Am Donnerstag geht es in die Stadt und die Eindrücke sind so ambivalent wie ich das bisher selten auf Reisen erlebt habe. Das Land ist reich, die Öl-Milliarden sprudeln und überall werden große Glastürme und Protzbauten hochgezogen, allen voran die Flame Towers als neues Wahrzeichen der Stadt. Und nachts ist alles beleuchtet, Energie im Überfluss vorhanden. Ganz im Gegensatz die Altstadt, umgeben von der Stadtmauer und als UNESCO Welterbe anerkannt, fühlt man sich in den Orient versetzt. Enge Gasse, Moscheen und eine Atmosphäre wie auf dem Basar bilden einen krassen Gegensatz. Dazu viele schöne Gründerzeitbauten und monumentale sowjetische Bausünden aus Beton. Doch dann gibt es noch die andere Seite, eine Querstraße von der blankpolierten Vorzeigestraße weg. Kleine Häuser, unebene Straßen, winzige Geschäfte in heruntergekommenen, teils baufälligen Gebäuden. Und überall diese Balkone und Hinterhöfe, praktisch jedes Gebäude zieht sich noch weit nach hinten. Die Eingangstüren stehen dabei meistens offen, man kann immer einen Blick ins Treppenhaus werfen.

Wir laufen durch die Stadt, sammeln Eindrücke ein und besichtigen die markantesten Gebäude. Auch die prachtvolle Uferpromenade ist widersprüchlich. Einerseits opulent angelegt und auf der anderen Seite das Meer, verdreckt, ölig und entsprechend riechend. Wir erleben eine Stadt, die schneller wächst als es ihr gut tut. Eine Stadt in der man Schein über Sein stellt.

Regierungsgebäude

Regierungsgebäude

Stadtmauer Altstadt

Stadtmauer Altstadt

Stadtmauer, Flame Towers, Maiden Tower, Fountains Square, Moscheen und Theater – der Donnerstag gibt uns einen guten Eindruck von dieser interessanten Stadt.

Insgesamt ist das meiste gut per pedes zu erreichen, wenn man nicht total unfit ist. Es gibt aber auch eine Metro mit schicken Stationen und ein Busnetz. Oder Taxen. Wobei der Verkehr auf den Straßen ein Erlebnis an sich ist. Und auch die Fahrzeuge spielen das Gefälle im Land wieder. Eine solche Menge an Luxuskarrossen deutscher Hersteller sieht man selten – unter 5 Liter geht da gar nix und am liebsten dann doch AMG – bewegen sich bunt gemischt mit klapprigen Ladas über die breiten Straßen der Stadt. Wichtigstes Instrument aller Fahrzeuge ist dabei die Hupe.

Ein Auto

Ein Auto

Das Spiel

Baku Boulevards

Baku Boulevards

Besagte Hupe erleben wir auch auf dem Weg zum Spiel. Der BVB organisiert einen Busshuttle und man könnte erwarten, dass die Busse geordnet losfahren – doch nein, für die Fahrer scheint es sich um ein Rennen zu handeln, denn alle Busse fahren gleichzeitig und stauen sich dann in einem viel zu breiten Pulk an der schmalen Ausfahrt. Im selben Stil geht es weiter, mit Hupe und Warnblinker wird im Verkehr jede noch so kleine Lücke zum Spurwechsel genutzt, gerne auch mal Sperrflächen und die Gegenfahrbahn eingezogen und beim Abbiegen ist es doch egal, ob die Kreuzung schon zu ist – man kann immer noch eine weitere Spur außen in einem noch weiteren Kreisbogen aufmachen. Ein echtes Erlebnis, aber schließlich kommen wir an. Das Stadion liegt mitten in einem heruntergekommenen Wohngebiet und man beschallt uns mit viel zu lauter orientalischer Musik.

Gefühlt erlebe ich zwei Polizisten pro BVB-Fan und die erste Reihe ist im gesamten Stadion frei, damit dort alle sechs Plätze ein Soldat sitzen kann. Apropos Polizei: Als Mann scheint das ein beliebter Job zu sein, sicher und mit ordentlichem Einkommen, man kann seinen Schnurrbart pflegen und ab dem dritten Stern gibt es eine schicke Mütze im sowjetischen Militärstil zur passenden Uniform (General Gogol lässt grüßen) und die offizielle Erlaubnis einen Ranzen anzulegen. Mehrere Polizisten kümmern sich um die Ticketkontrolle, mehrere zeigen den Weg – aber alle sind immer freundlich, auch wenn man mit den meisten aufgrund mangelnder Englischkenntnisse kaum reden kann. Auf dem Weg zur Toilette wird man „begleitet“ von einem freundlichen Polizisten, der erstmal alle Einheimischen aus der Toilette scheucht, damit der Gast aus dem Ausland in Ruhe pieseln kann. Der Umgang mit den Einheimischen ist weniger freundlich, selbst Kinder werden am Ende vom Zaun verjagt, die nur einen Blick auf die BVB Fans erhaschen wollen.

Bakcell Arena

Bakcell Arena

Einschneidendes Erlebnis dann in der Halbzeit. Ich gehe nach draußen auf der Suche nach einem FK Qäbälä Schal. Im Dortmund-Trikot. Kaum bin ich draußen, kommen jede Menge Aserbaidschaner auf mich zu, fragen mich nach einem Foto oder Selfie mit ihnen. Im bruchstückhaften Englisch freuen sie sich aus tiefstem Herzen, dass ich da bin, wollen wissen wie ich Baku und ihre Mannschaft finde, möchten mein Trikot mal berühren und fragen mich, ob ich das Trikot von Marco Reus besorgen oder sie mit zu den Dortmund Ultras nehmen kann. Am Ende sind es mehr als 20 Fotos und Selfies die ich machen muss, auch der Bitte nach Videos, in denen ich etwas auf Deutsch sage, komme ich gerne nach. Das Glück und die Begeisterung ist ehrlich und beeindruckend. Einen Schal finde ich am Ende nicht. Diese „15 minutes of fame“ beschäftigen mich noch lange.

BVB Fanblock

BVB Fanblock

Das Spiel selber – kann man auf Sportseiten nachlesen. Der BVB überlegen, knackt nach einiger Zeit den Abwehrriegel und gewinnt verdient. Die Heimfans am Anfang sehr lautstark, nach dem 0:3 verlassen sie in Scharen frühzeitig das Stadion. Übrigens: Ausschließlich Männer. Ich habe – außer im Gästeblock – keine Frau im Stadion gesehen.

Und auf der Rückfahrt in die Stadt denke ich lange darüber nach, ob ich diese „Sicherheit“ im Stadion wirklich haben will, ob ich soviel Polizei brauche, die einen gleich zurechtweist, wenn man eine abfällige Handbewegung macht und einem zum Klo eskortiert. Oder will ich doch weniger staatliche Präsenz, das Recht mich auch mal aufregen zu dürfen und dafür mit der Gefahr leben auf dem Klo beim Fußball angepöbelt zu werden? Und es berührt mich mit welcher Begeisterung und Freundlichkeit wir dort empfangen wurden.

Was man anschauen kann

Museum of Miniature Books

Museum of Miniature Books

Am Freitag steigen wir tiefer in die Stadt ein und besuchen einige der Sehenswürdigkeiten. Das Miniature Book Museum in der Alstadt kostet keinen Eintritt und zeigt die größte Sammlung an Miniaturbüchern bis hin zu Mikrobüchern, die man nur unter einer starken Lupe lesen kann. Der Shirvanshah Palast kostet 2 Manat Eintritt und ist eine Herrschafts- und Wohnkomplex aus dem 15. Jahrhundert. Bekanntestes Bauwerk ist der Maiden Tower, dessen genaues Alter und der ursprüngliche Zweck nicht eindeutig erforscht sind. Von oben hat man einen Ausblick über den Altstadt und den Rest von Baku. Auch hier kostet der Eintritt 2 Manat. Im Schatten des Turms liegen die Reste eines Badhauses.

Shirvanshah Palast

Shirvanshah Palast

Maiden Tower

Maiden Tower

Heydar Alive mit Konzerthalle

Heydar Alive mit Konzerthalle

Heydar Aliev, der jahrzehntelang in der Sowjetunion und später im unabhängigen Aserbaidschan die Geschicke des Landes maßgeblich mitbestimmt hat ist omnipräsent. Ob als Statue, als modernes Kulturzentrum oder als eher hässliches Betonkonzerthaus – er hat das Land geprägt und seine Gebäude prägen das Stadtbild.

Kirchen sind überwiegend gedrungen und eher Richtung baufällig, Moscheen dagegen gerne prachtvoll. Aber leider fast alle für die Besichtigung geschlossen. In der Stadt sind alle Religionen vertreten und leben friedlich und tolerant nebeneinander. Aber auch hier zeigt sich die Viefalt.

Breite Boulevards und künstliche angelegte opulente Parks wechseln sich mit engen und winkligen Vierteln ab – Baku präsentiert sich auch am zweiten Tag als Stadt der Gegensätze. Opulent sind auch die Metrostationen und Unterführungen, die es an vielen Straßen gibt und der ganze Zauber aus 1001 Nacht entfaltet sich dann mit Einbruch der Dunkelheit, wenn viele Gebäude hell erstrahlen oder wie bei den Flame Towers gleich mit einer gewaltigen LED – Animationsshow bestückt sind.

Moschee

Moschee

Metrostation

Metrostation

Fahnenschwinger LED-Show

Fahnenschwinger LED-Show

Leben und Leute

Uferpromenade

Uferpromenade

Die Leute sind nett und freundlich. Auch wenn man sie oft nicht verstehen kann – Emotionen funktionieren auch ohne Sprache. Bei jüngeren Leuten sind manchmal Englischkenntnisse vorhanden, bei älteren würde man mit Russisch weiterkommen. Können sie dann sogar ein paar Fetzen Deutsch, dann wird das mit absoluter Begeisterung angebracht, auch wenn es sich um „Deutschland? Ahh. Über, über alles!“ handelt.

Viel Leben findet auf der Straße statt, vor vielen Geschäften und Häusern stehen Männer auf der Straße. Halten ein Schwätzchen. Rauchen. Überwiegend Männer, viele Frauen sieht man nicht. Apropos Frauen: Dort ist alles vertreten, von der Burka bis zu westlichen Highheels und Minirock. Wenn man denn mal Frauen sieht. Die Menschen sind überwiegend schlank, man sieht wenig dicke Leute.

In den Nebenstraßen

In den Nebenstraßen

Das Preisniveau ist sehr gemischt – von Armani bis Lamborghini sind Luxusgüter sämtlicher Art in modernen Shops zu bekommen – doch in den kleinen Läden und Restaurants in den Nebenstraßen erlebt man Authentizität und kommt günstiger weg. Bier: 1 Manat. Eine Hauptmahlzeit im Restaurant deutlich unter 10 Manat. Man kann es sich preiswert gut gehen lassen. Die Küche ist türkisch angehaucht, viel Fleisch und ob Frühstück, Mittag oder Abend – ein Döner geht immer und ist ein beliebtes Produkt. Freitag Abend besuchen wir ein ganz kleines Restaurant in einem Hinterhof, zufällig geraten wir beim Bummel durch die Nebenstraßen dorthin. Nachdem wir per Gesten klar gemacht haben, dass wir Essen wollen, kommt der Chef und es entspannt sich der Dialog:

Baku

Baku

 

Er: „Salam. Schaschlik?“

Wir: „Yes. Anything else?“

Er: „Schaschlik!“

Wir: „Mhh. Salat or Beef?“

Er: „Schaschlik!“

 

Man kann es erraten, wir kriegen Schaschlik was sich als eine Art Cevapcici vom frischen Holzkohlegrill entpuppt, garniert mit rustikal angemachten Zwiebeln und einer Grilltomate. Zuvor gibt es noch aufgeschnittene Gurken und Tomate und viel Brot. Nach zwei Bierrunden und jeder Menge Fleisch verlassen wir gut gesättigt zu dritt um gerade mal 30 Manat erleichtert das Restaurant, ein bescheidenes Trinkgeld sorgt für eine Verbeugung und überschwänglichen Dank durch den Inhaber. Sehr lecker und etwas, das man in einem Reiseführer nie finden würde.

Sicherheit und Staatsräson

Blick über Baku

Blick über Baku

Am Samstag scheint endlich die Sonne vom blauen Himmel und das Plattenbaupanorama entfaltet seine ganze Schönheit. Neben unserem Hotel liegt die Alley of Martyrs, die den Opfern des Sowjetregimes und aus dem Konflikt um die Region Berg-Karabach gewidmet ist. Am Morgen scheint ein besonderer Tag zu sein, eine größere Gruppe Menschen schreitet unter Dauergesang und rhythmischen „auf-die-Brust-klopfen“ (der Vergleich zur Ultra La-La-La Melodik liegt nahe) zum Mahnmal mit der ewigen Flamme. Beeindruckend und nebenbei ist die Aussicht von dort oben toll, im Sonnenschein breitet sich Baku mit der sichelförmigen Bucht aus.

Alley of Martyrs

Alley of Martyrs

History Museum

History Museum

Dann trennen wir uns – während die anderen beiden Mitglieder unserer Reisegruppe zum Groundhopping in der aserbaidschanischen Liga aufbrechen – besuche ich das National Museum of History of Azerbaijan. Mit 5 Manat (plus 2 für die Erlaubnis zu fotografieren) ist es die teuerste Sehenswürdigkeit der Tage und zeigt recht textlastig die wechselvolle Geschichte des Landes von der Steinzeit bis in die Moderne. Ein Schwerpunkt ist die undifferenzierte und propagandalastige Darstellung des Grenzkonflikts mit Armenien. Grob gesagt werden alle Armenier als kinderfressende Monster dargestellt und man gewinnt einen Eindruck warum der BVB auf seinen armenischen Mittelfeldspieler Henrikh Mkhitaryan besser verzichtet hat. Sehenswert ist auch das Gebäude selber – ein prachtvoll ausgestattetes Stadthaus im italienischen Renaissance-Stil.

Theater Baku

Theater Baku

Baku abseits der großen Straßen

Baku abseits der großen Straßen

Weiter laufe ich nochmal durch das Gewirr der kleinen Straßen, lasse mich treiben. Dabei fühle ich mich jederzeit absolut sicher. Solange man nicht vom falschen Vorurteil beeinflußt ist, dass junge dunkelhaarige Männer pauschal gefährlich aussehen, muss man in Baku zu keiner Tages- oder Nachtzeit Angst haben. Gefährlicher sind da eher die unebenen Straßen, unbeleuchtete Schlaglöcher und Kellertreppen ohne jedes Geländer. Dass diese Sicherheit auf Repression und einem starken Staatsapparat basiert erlebt man im Alltag durch die omnipräsente Polizei, Aserbaidschan ist ein Polizeistaat – mit all seinen negativen und für Touristen durchaus positiven Folgen. Doch will man das?

Flame Towers

Flame Towers

Und nach einer abendlichen Fotosession an der Alley of Martyrs geht es Sonntag Nacht dann zurück nach Deutschland.

Baku bei Nacht

Baku bei Nacht

Fazit

Baku im Sonnenschein

Baku im Sonnenschein

Hat Baku mich begeistert? Jein. Hat Baku mich nachdenklich gemacht und beeindruckt? Definitiv. Man drängt machtvoll und mit viel Geld in Richtung Europa und vergisst dabei das eigene Volk mitzunehmen. Die Schere zwischen Arm und Reich ist riesig weit geöffnet und trotzdem sind die Leute offen und herzlich. Gerade die Herzlichkeit in der Halbzeitpause hat mich tief beeindruckt. Mit Händen und Füßen am Ende zu einer erfolgreichen Verständigung zu kommen und sich dann zusammen zu freuen ist ein tolles Erlebnis. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt sind alle einen Tick zu herausgeputzt, authentischer sind die Hinterhöfe und die Straßen und Gebäude in der zweiten Reihe.

Altstadt Romantik

Altstadt Romantik

Würde ich dort leben wollen? Definitiv nein. Ich will keinen Polizeistaat, der mir alles vorschreibt – auch wenn ich sicher leben kann solange ich meine Meinung nicht zu progressiv äußere. Ich weiß auf jeden Fall unsere Freiheit wieder deutlich mehr zu schätzen, mit all den Nachteilen, die sie bisweilen mit sich bringt.

Würde ich wiederkommen? Warum nicht. Ich habe mich nie unwohl und immer willkommen gefühlt. Ich fände es durchaus reizvoll auch das Hinterland zu erkunden.

Ich bin dem BVB irgendwie dankbar, mir dieses Erlebnis ermöglicht zu haben. Und der Sieg und drei Punkte waren ein schöner Bonus auf den Ausflug.

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Goldener Oktober

Wo stehen wir eigentlich? Wie bewerten wir die Arbeit von de Raaf und Rumrich? Geben wir Ihnen 100 Tage Zeit? 10 Spieltage? Ein Saisonviertel? Und was machen wir, wenn es doch wieder nicht funktioniert? – Schwierige Fragen, die mich auch immer wieder beschäftigt und vom Bloggen abgehalten haben. Denn ich wollte der Mannschaft und dem Konzept Zeit geben und habe deswegen bewusst auf jede Kritik über die in den ersten Spielen auch sichtbaren spielerischen Mängel verzichtet. Denn Laufen und Kämpfen kann man von Anfang an – Spielzüge, Abstimmungen und Automatismen brauchen ihre Zeit.

Dass die Kraftdefizite und die mangelnde Tiefe im Kader angesprochen wurden, war völlig korrekt und wurde von den Verantwortlichen auch ähnlich gesehen. Mit dem Glücksgriff Will Acton haben Sie nachgelegt und sind weiterhin auf der Suche nach einem zusätzlichen Stürmer. Damit hilft man den kämpfenden Spielern ungemein indem man sie entlastet.

Und jetzt? Wo wir alle einmal gespielt haben? – Als Wild Wings Fan muss einem das Herz aufgehen, wenn man sieht wie sich die Puzzleteile des de Raafschen Konzepts zu einer funktionierenden Mannschaft zusammenfügen. Die Mannschaft kämpft, sie hat einen klaren Matchplan, setzt den um und erntet die verdienten Erfolge. Durch bessere Abstimmung der Spieler kommen die Pässe genauer und die Zahl kräftezehrender Zweikämpfe konnte erfolgreich reduziert werden – das Problem der fehlenden Kraft in den ersten Spielen ist verflogen. Kurth hat sich in der Liga akklimatisiert und zeigt Woche für Woche das Potential auf, ein gestandener DEL-Spieler werden zu können, der auch scoringmäßig überzeugen kann. Auch Damien Fleury hat sich an die Liga angepasst und zeigt endlich die Qualitäten, die ihn bei der WM ausgezeichnet haben. Mit mehr als einem Punkt pro Spiel ist der deutlich über dem Soll. Hult und Rome ergänzen wechelseitig sehr gut die beiden Punktemaschinen Fleury und Acton, wobei letzterer einen nahezu unglaublichen Lauf hat. Bin mal gespannt, wie es mit ihm weitergeht, wenn die teuren Angebote aus der Liga eintreffen.

Noch schöner macht die Situation, dass auch die Tabelle die Erfolge widerspiegelt. Nach zwei Sechs-Punkte-Wochenende in Folge ist man nur noch einen Punkt hinter dem ersehnten Platz 10, es fehlt gerade mal ein Sieg zu Platz 6. Die Mannschaft belohnt sich selber und man sieht ihr den Spaß auch an – es ist einfach als Sportler ungemein befriedigend, wenn man sieht dass sich Mühe und Aufwand lohnen und auszahlen.

Damit alles Friede, Freude, Eierkuchen? – Könnte man meinen und ich finde es ist auch wichtig, dass man den Moment und den Erfolg genießt. Das tue ich auch als Fan und das gönne ich auch jedem Fan nach dem Seuchenjahr zuvor. Doch als Berichterstatter muss ich auch den Blick voraus wagen und bedenken, dass es da die eine oder andere Gletscherspalte weiter auf unserem Weg liegt. Königstransfer Stastny – inzwischen verletzt – spielt völlig hinter den Erwartungen und kann nur als Enttäuschung bezeichnet werden. Wenn sich Acton in seinem brutalen Lauf eine Pause gönnt – und die wird kommen und auch die gegnerischen Teams werden sich auf ihn einstellen – dann könnte Stastny auf dem Papier in die Bresche springen. Aber nur auf dem Papier. Nicht in der Realität.

Ich hoffe, die Bemühungen um einen zusätzlichen Stürmer werden intensiviert und dann kann man Stastny auf die Tribüne setzen oder mit einer Abfindung auszahlen – wenn es der Körper nunmal einfach nicht mehr zulässt, dann muss man das auch irgendwann einsehen. Der zusätzliche Stürmer könnte uns dann wirklich die Alternative bieten, die wir brauchen, wenn wir bis zum Ende um die Play-Offs mitspielen wollen. Fällt Acton aus, wer soll ihn ersetzen? Fällt Kurth aus, dann rückt dort auch keiner nach. Schmölz oder Billich haben das Level (noch) nicht. Ritter und Pohl beweisen, warum sie es auch bei anderen Teams nicht geschafft haben. Unser Kader ist und bleibt auf Kante genäht.

Für uns spricht auch, dass sich die Liga noch nicht entschieden hat, welche Kräfteverhältnis sie dieses Jahr darstellen möchte. Weder ist Mannheim vorne weg, noch hat sich wie mit uns im Vorjahr frühzeitig ein Kellerkind gefunden. Dadurch ist noch alles sehr eng zusammen und mit zwei weiteren Siegen könnte man ganz schnell in richtig hohe Sphären klettern. Genauso schnell kann es dann aber auch wieder abwärts gehen. de Raaf und sein Team müssen sich beweisen, wenn das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlägt. Acton muss sich beweisen, wenn er mal die Seuche an der Kelle hat. Die Fans müssen sich beweisen, ob sie das jetzt als schönen Moment genießen oder die Erwartungen wieder zu schnell ansteigen lassen.

Wir alle haben dieses Jahr eine Chance – nutzen wir sie. Aber sind wir auch nicht zu enttäuscht, wenn es doch nicht klappen sollte.

Rumrich – an dem ich arge Zweifel hatte und auch noch habe – und de Raaf beginnen mich zu überzeugen und ich traue ihnen auch zu, auf die auftretenden Probleme wie bisher die richtigen Antworten zu finden. Und bis zum nächsten Rückschlag genießen wir einfach den Goldenen Oktober. Das haben wir uns alle verdient.

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Good ol‘ hockey player

Ich habe mal wieder ein Buch gelesen. Terry Ryan hat mit dem Buch „Tales of a First-Round Nothing: My Life as an NHL Footnote“ seine Memoiren vorgelegt – oder besser gesagt eine lose verbundene Sammlung lustiger, spannender und unglaublicher Anekdoten aus seiner Karriere.

Terry Ryan, 1977 geboren, ist vom Typ her ein Spieler, der gut nach Schwenningen passen würde. Zusammengefasst: Viel Talent, geht keiner Schlägerei aus dem Wege, aber am Ende lieber alles versoffen. Nach beeindruckenden Jahren in der Jugend von den Habs an Nummer 8 gedraftet, schaffte er es in seiner Karriere „nur“ zu 8 NHL Spielen für den traditionsreichen Club aus Montreal. Und ist stolz darauf es immerhin zu diesen Spielen geschafft zu haben. Nach den erfolgreichen Jahren in Montreal folgten einige Jahre in den Minor Leagues, immer mal wieder ein Trainingscamp für die NHL und schließlich mit 26 Jahren das vorzeitige Karriereende aufgrund einer chronischen Knöchverletzung. Nach einigen Ausflügen zum Streethockey und Amateurhockey hat er dann 2007 wieder angefangen, um in lokalen kanadischen Ligen semiprofessionell weiter Hockey zu spielen.

Ryan beschreibt eindrücklich und in sehr direkter Sprache aus seinem Leben, schont dabei weder sich noch andere und schafft es doch in jeder Zeile seine Liebe für das Spiel, den Sport und die Kameradschaft durchblicken zu lassen. Ob Fights und Fouls oder Teamkollegen, die sich in einem Play-Off Spiel mit einem Bürohefter die gespaltene Lippe zusammentackern – hier schreibt jemand, der dem Sport alles verdankt und ihn über alle Maßen liebt. So wie er auf dem Eis immer offensiv und geradeheraus war, so liebte er auch das Leben und die Verlockungen die einem im Umfeld der NHL erwarten und verführen können.

Ob ein „24 Bier in 8 Stunden“ – Contest, der leider vom Trainer erkannt und mit Straftraining „Schüsse blocken“ am nächsten Morgen goutiert wird, die Fahrt mit voller Montur und Schlittschuhen durch einen Drive-In oder die Landung im Bett einer Prostituierten mit Umschnalldildo nach durchzechter Nacht – eine Situation aus der man sich übrigens mit unterschriebenen Player-Cards „befreien“ kann – Terry Ryan hat nichts ausgelassen und lässt auch im Buch nichts aus.

Das Buch hat seine Stärken, weil Ryan ehrlich und direkt formuliert – und tiefe Blicke in seine Gefühlswelt erlaubt. Man erhält selten so eindrückliche Ansichten des Innenleben von Profi- und Amateuermannschaften und erfährt, dass viele der Geschichten, die man sich auch in Schwenningen gerne erzählt, wohl tatsächlich auf einem wahren Kern beruhen. Schwächen hat das Buch, da etwas der rote Faden fehlt und mir auch die Selbstreflexion etwas abgeht. Bei der Beschreibung seines Lebens wundert es mich nicht, dass Terry Ryan letztlich den Durchbruch in der NHL nicht geschafft hat.

Doch so what – am Ende des Buches ist Ryan auch mit Titeln im semi-professionellen Bereich glücklich geworden und bis dahin ist es eine kurzweilige und sehr lesenswerte Sammlung von Anekdoten. Mit tief ins Gesicht gezogenen Hut und Trikot des Mitspielers als Teamkamerad verkleidet beim 1st-Star Interview für das nächste Spiel einen Fight gegen den Bad Boy der Liga ankündigen oder auch die Frage, warum man sich als Eishockeyspieler erst betrinkt und dann mit einem Spielzeughammer vier Zähne ausschlägt – Ryan beantwortet diese Fragen und lässt einen den Teamgeist erahnen, der Spieler dazu bringt mit Lungenriss, fitgespritzt und voller Schmerzen aufs Eis zu gehen. Und als Dank dann von den Teamkollegen einen Blowjob einer „shemale“ arrangiert zu bekommen.

Für Schwenninger Verbindungen kommen u.a. Chris Schmidt, Gordie Dwyer oder Justin Mapletoft in dem Buch vor. Das Buch „Tales of a First-Round Nothing: My Life as an NHL Footnote“ gibt es bei Amazon oder – Support your local dealer – in der Buchhandlung am Markt, Engen. Das Buch ist in englischer Sprache.

Disclaimer: Ich habe das Buch selber erworben und nicht zur Verfügung gestellt bekommen. Bei Bestellung über den Amazon-Link würde ich eine Provision erhalten, die ich zum Betrieb des Blogs benutze. Bei Bestellung über die Buchhandlung am Markt, Engen erhalte ich eine Packung Ricola. Ich habe keine weitergehenden wirtschaftlichen Interessen an diesem Buch.

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And the oscar goes to…

..in der Kategorie „Best Acton in a Leading Role“ – Will, #41. Dass ein Spieler in Schwenningen fünf Punkte in einem Spiel macht, ist schon ein seltenes Ereignis. Dass ein Spieler in seinem ersten Spiel fünf Punkte macht ist ein Jahrhundertereignis und dass eine – üblicherweiser enttäuschende – Nachverpflichtung mit fünf Punkte loslegt, ist selbst in der jahrtausende alten Schwenninger Tradition ein singuläres Ereignis. Interessanterweise konnte ich nach dem gestrigen Spiel und dem Einstand von Will Acton ein kurzes Streitgespräch zwischen Sophia-Laura Ottenwald-Tecklenburg und Kevin Blackpainter aufschnappen. Wiedergabe sinngemäß.

Ottenwald-Tecklenburg: Ein Wahnsinnsspiel von Acton. Wegen mir könnte man sein Trikot wie das von MacDonald nach dem Mannheim-Spiel jetzt schon unters Hallendach ziehen. Bin immer noch ganz wuschig.

Blackpainter: MacDonald? Die Kotztüte, die jetzt auch nur noch „normal“ hält? Ist Acton der nächste, der hier gottgleich überhöht wird?“

Ottenwald-Tecklenburg: Aber fünf Punkte. Top-Scorer aus dem Nichts. Der hat uns das Spiel quasi im Alleingang gewonnen.

Blackpainter: Ja. Die Punkte sind ja gut. Aber stand auch einfach nur richtig oder wurde vom aufblühenden Stastny in Szene gesetzt. Da hätte ich auch noch zwei Punkte gemacht.

Ottenwald-Tecklenburg: Nein. Ich bleibe dabei. Das war eine Leistung ohne jeden Fehl und Tadel.

Blackpainter: Sicher? Er geht trotz fünf Toren mit -1 aus dem Spiel. Seine Reihenkollegen Hult (-4) und Fleury (-4) wurden durch seinen unstrukturierten Offensivdrang völlig ausgebremst. Er stand bei also bei drei Gegentoren, die wir bei gleicher Spielerzahl bekommen haben auf dem Eis. „Vorne hui, hinten pfui“ kann ich da nur sagen.

Ottenwald-Tecklenburg: Da hatte er doch gar nichts mit zu tun. Was soll er denn machen, wenn er als Stürmer vorne ist und die Verteidiger hinten den Puck vertendeln? Dann bekommt er völlig ungerechtfertigt eine schlechte Statistik, weil Bender und Pelech einen gebrauchten Tag hatten. Ich finde das unfair, beinahe traurig.

Blackpainter: Vielleicht die Verteidiger nicht in Bedrängnis bringen, sondern sich mal vernünftig anbieten. Und am meisten genervt hat mich ja noch dieses ständige Gestochere mit Pietta oder Fischer. Sah fast so aus, als wenn er sich auch noch prügeln wollte.

Ottenwald-Tecklenburg: Ja das ist doch toll. Da ist mir das Herz aufgegangen. Noch jemand, der mit viel Herzblut und Einsatz unsere Farben trägt. Für mich schon eine Legende. Er muss und wird so weitermachen.

Blackpainter: So wie Sleigher? 3 Tore im ersten Spiel und am Ende mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Erstmal abwarten, ob er diese Eintagsfliegenleistung nochmal bestätigen kann.

Ottenwald-Tecklenburg: Bestimmt. Der macht 230 Punkte dieser Saison. Hat schon jemand bei den Holics ausgerechnet.

Blackpainter: Joa sicherlich. Wenn der morgen nochmal 5 Punkte macht, kauft ihn Montag eh Mannheim weg. Inkl. Abfindung. Ich weiß doch wie das hier läuft.

Und die Moral von der Geschicht. Guter Typ, hat gestern Spaß gemacht – aber wir alle werden trotzdem weiter hart arbeiten müssen. Spieler und Fans. Mit und durch Acton wird die Saison auch kein Selbstläufer.

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Anspruch und Wirklichkeit

Passend zum Titel wird der Part über die Wirklichkeit von der Wirklichkeit überholt. Gerade wollte ich wieder zu einem Plädoyer für mehr Tiefe im Kader ausholen, da kommen mir die Wild Wings zuvor und stellen Will Acton als neuen Stürmer vor. Ich bin begeistert. Auch wenn der Spieler einige Fragezeichen im Handgepäck mitbringt, entlastet man die anderen Stürmer und schafft sich zusätzliche Optionen. Man braucht einen Torjäger und holt jemanden, der seine Stärken in der Defensive hat. Man „hat nur Gutes über ihn gehört“ und über Google lässt sich sehr schnell finden, dass er in einem Artikel von Mitte August noch nicht weiß, ob er aufgrund einer Hüftoperation im Frühjahr an den folgenden Tagen wieder aufs Eis kann.  Update [19:03]: Hier bin ich einem Irrtum aufgesessen, die Meldung über die Hüft-OP betrifft den Vater von Will Acton. Gelistet ist er mit 1,91m und kommt bei uns dann mit 1,85m an. Auf der anderen Seite hat er in 30 Spielen für die Oilers nicht nur die Bank gewärmt, sondern um die acht bis neun Minuten Eiszeit pro Spiel. Das kriegste nicht als Nasenbohrer.

Warten wir also mal ab was er bringt, Statistiken sagen zwar einiges aber nicht alles aus und so viel Scoring wie ein Stastny wird er schon noch hinkriegen. Also herzlich willkommen, Rumrich und de Raaf werden sich schon was bei der Verpflichtung gedacht haben.

Doch zurück zum eigentlichen Titel dieses Beitrags. Thomas Burger hat sich mit dem Traum „einmal im Finale spielen“ zitieren lassen und hat den Anspruch den Standort Schwenningen auf einen Schnitt von 5.000 Fans zu heben. Ich traue ihm aber zu, dass er nüchtern betrachtet weiß, dass das nahezu unmöglich zu realisieren ist und deshalb er auch damit leben kann, wenn diese Ziele nicht erreicht werden.

Von den organisierten und im Internet engagierten Fans liest man immer, dass der größte Anspruch an die Mannschaft der von unbedingtem Kampf und Einsatz, von Leidenschaft und Wille ist. Ergebnisse sind zweitrangig solange die Mannschaft rackert. Doch repräsentiert der harte Kern die große Masse? Den Eventi? Den Touri?

Nein, denn der hat den Anspruch Siege zu sehen. Nicht erst durch die erfolgreichen Jahre in Liga 2 genährt kommen die Zuschauer die die Zahlen über 3.000 heben nur bei Siegen oder Derbys. Das ist die Wirklichkeit. Eine kämpfende Mannschaft ist nicht genug, um die Ansprüche der Masse zu befriedigen. Jetzt kann man argumentieren: „Dann ist das eben so und bei nur 2.500 Zuschauern bin ich auch schneller am Bierstand.“ aber dann kollidiert man sehr schnell mit den Ansprüchen der Geldgeber. Dort ist die Wirklichkeit nicht die 5.000 und die Tabellenspitze, aber ein Zuschussgeschäft für ein paar eingefleischte Anhänger will man dort auch nicht begleiten.

Irgendwo dazwischen müssen wir uns treffen, bei konstant 4.000 und einer realistischen Chance auf Platz 10. Ich bin ganz optimistisch, dass dieser Dreh noch zu schaffen ist. Mehr Tiefe, die Defensive stimmt und im Sturm wird es sukzessive besser. Viel fehlt da oft nicht. Viele Schüsse gestern gegen Berlin waren für den Dynamo-Goalie dankbar, weil er freie Sicht hatte. Stell da wie beim Trivellato-Tor öfters jemand in die Schußbahn und es klingelt häufiger. Pässe spielen wir oft nicht auf den freien Mann, sondern zum Mitspieler, der sich in einer Zweikampfsituation befindet. Diese wird zwar angenommen, kostet aber Kraft. Gedanklich eine halbe Sekunde schneller, einen Schritt eher und man muss nicht in den Zweikampf und kann wesentlich ökonomischer spielen und ist dann nicht gegen Spielende platt.

Jetzt kommen Gegner, die im Vergleich zu den bisher gespielten Top 6 der Liga auch einen Schritt langsamer sind, auch nicht die Klasse in der Tiefe haben. Das kann bzw. muss uns entgegenkommen. Besseres Spielverständnis und machbare Gegner, ich bin mir nach der gestrigen Partie und angesichts der eingetroffenen Verstärkung sehr sicher, dass wir nicht mehr lange auf den ersten Dreier warten müssen.

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Wie gut sind wir eigentlich?

Die Frage stellte Helmut de Raaf vor dem ersten Spieltag. Nach vier Spieltagen will ich mal versuchen Sie zu beantworten und unsere Situation zu beleuchten. Auf den ersten Blick stehen wir mit zwei mickrigen Punkten am Tabellenende – auf den zweiten und dritten Blick ändert sich daran auch nichts, aber das heißt noch lange nicht, dass wir das Handbuch für panischen Aktionismus aus dem Regal holen müssen. Doch dazu ein Absatz später mehr.

Nach der letzten Wochenende habe ich mich trotz einiger Anfragen zurückgehalten, weil man der Ankündigung im Vorfeld der Mannschaft Zeit zu geben dann auch Taten folgen lassen sollte. Als Ersatzbefriedigung habe ich mir dann eben aufgrund einer flapsigen Bemerkung über Joey MacDonald einen veritablen Shitstorm eingefangen, der aber nur dem Statistiker in mir bewiesen hat, dass auch die Fanschar der Wild Wings der Gaußschen Normalverteilung folgt und einige durch ihre plumpen Beleidigungen ihre Position nahe an einem Ende der Kurve eindrucksvoll bewiesen haben. Nichtsdestotrotz bleibe ich dabei, dass ich es beängstigend finde, wenn man einen angeschlagenen Torhüter einsetzt, der sich dann TV-wirksam übergeben muss bzw. bei Symptomen einer Gehirnerschütterung die Fürsorgepflicht vernachlässsigt. Aber Schwamm drüber – zurück zum aktuellen Geschehen.

Vier Spiele, drei Niederlagen, ein knapper Sieg – und das gegen Top-Teams der Liga. Das ist so ungefähr das was man erwarten konnte. Viel mehr als die nackten Zahlen sollte man aber auf die Spiele ansich achten. Die jungen Spieler machen Spaß, die Mannschaft kämpft und zerreißt sich in jedem Spiel. In jedem Spiel hat man mindestens ein Drittel lang gezeigt, dass man auch gegen Spitzenmannschaften der Liga mindestens mithalten kann. In jedem Spiel hat man aber auch gesehen, dass man das Tempo (noch) nicht über 60 Minuten durchhalten kann. Alle Gegner haben uns letztlich über die Tiefe im Kader und die Abgezocktheit besiegt, lediglich den Red Bulls aus München ist die Zeit ausgegangen.

Auch wenn man in Mannheim gerne ein Kacktor oder gegen Köln den Schiedsrichter dafür verantwortlich machen möchte – genau diese Argumentation ist mir schon oft begegnet. „Gut gekämpft“, „Knapp dran“, „Alles abverlangt“, „Pech gehabt“ – Es ist manchmal gar nicht so schwer gut auszusehen, weil keiner weiß ob der dann siegende Gegner wirklich alles gegeben hat. Und wenn man viele Spiele knapp verliert, dann ist das in der Gesamtbetrachtung auch eine Frage der Qualität. Wir haben auch in den letzten beiden Jahren Spiele verloren, in denen man gut aussah. Fakt ist auch in diesem Jahr: Wir haben nicht die Qualität von Köln oder Mannheim – aber das darf man auch nicht erwarten.

Also alles wie immer? Nein, denn de Raaf und Co. haben durch ihre offene und ehrliche Kommunikation eine Stimmung vermittelt, die diese Fehler und Resultate derzeit toleriert. Das muss nicht ewig so sein, aber im Moment ist man durchaus damit zufrieden, dass die Mannschaft alles gibt und echauffiert sich lieber über liebestolle Hamster und vermeintlich vogelwilde Schiedsrichter. Doch auch wenn jeder klar sagt, dass die Mannschaft Zeit bekommt – zwischen den Zeilen und in manchen Zwischentönen kann man schon rauslesen, dass das auf Dauer doch nicht ausreicht. Spätestens die Spiele gegen unsere Kragenweite – Straubing, Augsburg und Co. werden auch für de Raaf und sein neues Konzept zur Nagelprobe. Dort erwartet der Schwenninger Fan dann auch Punkte, dort reicht es nicht mehr ein Drittel durchzupowern und dann eine Rückzugsschlacht zu schlagen.

Damit wir in diesen Spielen erfolgreich sind – und das will ja jeder – muss sich aber noch etwas tun. Die Causa Voutilainen muss diese Woche gelöst werden bzw. es muss ein Ersatz herkommen. Denn der vorbildliche Kampf der Mannschaft, die im Sturm mehr oder weniger zur Rumpfmannschaft wird, wird über kurz oder lang zu Verschleiß führen. Wenn wir dem Kader nicht Entlastung im Sturm zuführen, dann gehen wir spätestens an Weihnachten auf dem Zahnfleisch. Denn Spieler wie Kurth oder Schmölz müssen auch erstmal lernen, wie sich eine volle DEL-Saison auf ihren Körper auswirkt. Und die Wirkungskette ist ja bekannt. Körperliche Verschleiß => mangelnde Konzentration => kein Erfolg => Unzufriedenheit => Alle Mann in den Ostbahnhof.

Zudem müssen auch die erfahrenen Spieler noch zulegen. Die jungen Deutschen (und auch Schlager und Danner) spielen was sie können. Aber: Wenn wir eh schon mit so wenigen ausländischen Spielern im Sturm spielen, dann müssen die auch zwingend die ihnen zugedachten Rollen ausführen. Und beim Blick auf die Statistik sind sowohl Hult wie auch Stastny und Fleury (der auch zu oft auf der Strafbank hockt) noch weit von ihrem Soll entfernt. Rome schießt wie im letzten Jahr viel, aber auch oft schlecht. Bei Goc wirkt es leider so, als habe er sein Scoring-Potential in der Vorbereitung verbraucht und auch Pikkarainen und Hunkes haben noch Luft nach oben. Es ist leicht irritierend, wenn unter Einbeziehung der +/- Statistiken Danner und Schlager die tragenden Säulen unseres Spiels sind. Das geht auf Dauer nicht gut.

Also „Holland in Not“? Nein. Keineswegs. Wir dürfen auch die Gegner nicht unterschätzen und ja, wir haben zuwenig Tore geschossen aber wir haben gegen vier Top-Teams auch „nur“ 12 kassiert – ein guter Wert – und mit über 88% das drittbeste Unterzahl der Liga. Es zeigt, dass de Raaf einen Schwerpunkt auf die Defensive gelegt hat, hinten gut stehen will. Das ist gelungen und angesichts des Startprogramms eine gute Strategie gewesen. Jetzt gilt es dann die Automatismen im Spiel nach vorne einzubringen und unsere durchaus talentierten Stürmer zu aktivieren um das Gesamtkonzept möglichst schnell zu vollenden. Und bitte, gebt der Mannschaft Unterstützung durch etwas mehr Tiefe im Kader. Dann kann das wirklich was werden dieses Jahr und dann wissen wir auch bald, wie gut wir wirklich sind.

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